Hallo Sandy,
jetzt hab ich für die Antwort deutlich länger gebraucht als beabsichtigt. Entschuldige bitte!
Puh, da hast du ja jetzt wieder einiges hinter, aber auch vor dir. Ich kann es dir sehr gut nachfühlen, dass die Entscheidungsfindung alles andere als einfach ist. Nun sind doch wieder ein paar Tage vergangen seit deinem letzten Beitrag. Konntest du in der Zeit vielleicht deine Gedanken ein wenig sortieren?
Wie geht es dir denn heute, darf ich nachfragen?
Ich schließe aus deinem Schreiben, dass du noch nicht sicher bist, ob du stationär gehen möchtest. Das Wohin ist ja noch viel unklarer, ich kann dich da sehr gut verstehen. Ich merke, wie es dich gedanklich hin und her reißt in deinem Beitrag. Du ängstigst dich wegen der Andeutungen im Arztbrief. Sie müssen leider Andeutungen bleiben, denn dazu kommt: Du konntest davon ja überhaupt gar nichts vernünftig besprechen. Ich kenne das Gefühl sehr gut. Und jetzt musst du, sehr toll, alleine entscheiden, ob du überhaupt einen stationären Aufenthalt antreten sollst. Natürlich ist das letztendlich immer die Entscheidung des Patienten. Aber wenn man so allein gelassen wird wie du, ist es sehr schwer, auch eine klare Entscheidung zu finden.
Ich verstehe es auch sehr gut, dass du dann doch wieder zögerst, konkrete Schritte in diese Richtung hin zu tun, weil du Sorge hast, dass „es sich nicht lohnen könnte“; mehr noch, dass man dich vielleicht alleine lassen könnte oder am Ende alles nur noch unklarer würde. Es kann sehr schlimm sein, stationär zu liegen und dabei das Gefühl zu haben, dass das Ärzteteam eigentlich so gar keine Ahnung hat, was es mit einem machen soll, oder ob es überhaupt etwas mit einem machen will, wenn du mich verstehst. (Sofern es übrigens denn tatsächlich ein „Team“ ist, das zusammenarbeitet und dessen Mitglieder sich gegenseitig über den Patienten informieren und geschlossen ihrerseits Entscheidungen über das weitere Vorgehen treffen. Das wäre ja der Idealfall.)
Im Vorfeld weißt du leider nicht, was die beste Entscheidung ist. So sehr ich es auch möchte, ich kann dir das leider nicht abnehmen. Aber vielleicht können wir gemeinsam überlegen, was du tun könntest.
Ich finde, wenn du in diese Klinik, wo du zum Gespräch warst neulich, nicht gehen möchtest, dann solltest du es auch keinesfalls tun. Das wäre für mich schon einmal relativ klar. Wenn du von Anfang an ein schlechtes Gefühl hättest – Finger weg. Ich war auch einmal wegen einer anderen Fragestellung an einer größeren Klinik, und im Nachhinein hat es sich gelohnt, weil das Untersuchungsprogramm sehr straff und konsequent durchgezogen wurde und am Ende eine Erkrankung diagnostiziert werden konnte. Aber ich kann mir dein Szenario ebenso gut vorstellen; wenn ich ehrlich bin, hatte ich genau diese Befürchtungen damals im Vorfeld auch: Dass da immer wieder andere Ärzte kommen, die sich erst einlesen bzw. einen groben Überblick verschaffen müssen, dann nur die Hälfte mitkriegen bzw. an Vorwissen mitbringen (wenn es sich um eine eher seltene Erkrankung handelt, kann das durchaus der Fall sein, wie du ja auch schon feststellen durftest). Dass da keine „Bezugsperson“ ist, weil sich auch keiner auf dich bezogen fühlt.
Es tut mir sehr leid, dass dein Vorhaben, den Wilson gründlich abklären zu lassen, vor zehn Jahren gescheitert ist. Ich kann mir vorstellen, dass du mit der Hoffnung hingingst, bald würdest du endlich Klarheit haben, oder zumindest, man wisse dort, worum es gehe. Natürlich, wenn dann auch noch Ärzte zu dir kommen, die noch sehr wenig an Berufserfahrung mitbringen, kann das zusätzlich eine Belastung für beide Seiten sein. Du fühlst dich bei weitem nicht gut betreut, geschweige denn beraten, und der Arzt wird immer unsicherer, weil er merkt, dass du in der Thematik schon „Freischwimmerin“ bist, während er noch einen Schwimmreifen benötigt.
Ich will nicht lange herumreden: Ich möchte dir wirklich nochmals ans Herz legen, den stationären Aufenthalt zu machen. Wenn ich ehrlich sein darf: Ich hätte ein schlechtes Gefühl dabei, wenn ich wüsste, du würdest dich nun dagegen entscheiden, und eigentlich müsstest du aber doch gehen. Ich hab einfach Angst, dass dir was passiert, Sandy. Und ich hätte die große Hoffnung, dass du in der Klinik dann besser versorgt wärst und man alles tut, damit es dir wieder besser geht. Das Allerwichtigste: Damit
du weißt, was dir fehlt und wie du dir selbst helfen kannst.
Natürlich, jetzt kreisen deine Gedanken darum, wo du nur hingehen sollst. Aber dass du hingehen sollst, das meine ich schon, unbedingt.
Nun zum Arztbesuch beim Neurochirurgen: Okay, der liebe Herr Doktor hat sich also ein wenig vom eingegangenen Arztbrief „inspirieren“ lassen in seinem Urteil, so liest sich deine Erzählung zumindest für mich. Da hat er es sich ziemlich einfach gemacht. Er hat dich, wenn ich es so sagen darf, ein wenig „abgeschoben“, so nehme ich das wahr. Dafür mag es unterschiedliche Gründe geben.
Du beschreibst ja auch die mehr als ungünstigen Umstände wie den Zeitmangel und deine Reihung in der Patientenliste. Absolut schlechte Voraussetzungen für ein ausführliches, individuelles Gespräch, das du dringend nötig gehabt hättest. Auch das kann ich dir sehr gut nachempfinden. Da ist man leider machtlos und wird frustriert zurückgelassen, weil man gar nichts oder nur kaum etwas davon ansprechen konnte, was man eigentlich wollte. Dann ist man oft noch verwirrter als vorher. Besonders schlimm finde ich es, wenn man von vornherein merkt, man sollte eigentlich gar nicht mehr hier sein, man bekommt doch ohnehin in Wahrheit weder Zeit noch Raum für das Gespräch.
Dann musste ich – ich hoffe, du verstehst – ein wenig grinsen, als ich von deinem Kommentar las, du musstest den Wilson madig machen.
Das kenne ich so gut …! Wenn es wieder heißt, „Ach, dafür ist bestimmt Krankheit X verantwortlich“, das ist auch oft eine wenig durchdachtes und voreilig geäußertes Sprüchlein. Nur, damit man möglichst schnell eine gut klingende Erklärung für den Patienten parat hat, damit dieser zufrieden und beruhigt ist. Auch verständlich, Ärzte werden ganz häufig so „erzogen“, habe ich den Eindruck.
Vom M. Wilson kommen deine Beschwerden nicht, nein, das kann ich mir auch nicht vorstellen. Ich hoffe, ich erinnere mich richtig, wenn ich anmerke, dass du deine Medikamente weitgehend regelmäßig einnimmst, so gut es halt eben geht (Verträglichkeit, etc.). Du hast vollkommen recht: Im Endeffekt ändert sich die Behandlung nämlich tatsächlich nicht, egal, wie „es“ nun heißen mag, denn wenn du zu viel Kupfer in der Leber speicherst, dann musst du es unbedingt rausbekommen. Solange du die Therapie fortführen kannst, ist alles in Ordnung.
(Wobei ich zumindest es dann doch schlussendlich immer genau wissen möchte, was dahintersteckt.
)
Viel eher spielt bei den augenblicklichen Problemen meine genetische Thromboseneigung in Kombination mit der Gerinnungsstörung "von Willebrand" eine Rolle, die beide nichts mit M. Wilson zu tun haben.
Oh! Ja, das ist besonders unter diesen Umständen tatsächlich eine sehr heikle Angelegenheit. Es würde mich darin bestärken in meiner Entscheidung, stationär zu gehen.
(Nebenbei, zum Marcumar: Könntest du dich ev. mit dem Arzt, der dir das empfohlen hast, nochmals in Verbindung setzen? Wenn du aus heutiger Sicht meinst, das wäre möglicherweise keine schlechte Sache, die dir durchaus helfen könnte, würde ich es mir überlegen, ihn erneut zu konsultieren. Zu gegebener Zeit.)
Du schilderst außerdem noch das mit dem radiologischen Befund und den angeblich schon zuvor registrierten Auffälligkeiten deines Schädel-MRT. Das ist ja mehr als ärgerlich, Sandy! Im Nachhinein ist es sehr leicht zu sagen, zuvor hätte man natürlich schon längst über alles Bescheid gewusst. Das macht mich sehr wütend. Bestimmt erscheint nun alles in einem anderen Licht. Und bestimmt ist der radiologische Befund eine sehr individuelle Geschichte, das kommt immer darauf an, was der Befunder denn sieht / sehen möchte. Aber dass letzterer in dieser Situation nun schon immer etwas gesehen haben möchte, damit macht er es sich auch ziemlich einfach, denke ich.
Du fragst dich nun vielleicht: Was hat der Arzt denn in der Vergangenheit noch alles nicht gesehen, was er heute vielleicht doch sehen würde? Da kann ich es sehr gut verstehen, dass dich das auch sehr verunsichert und dir Kopfzerbrechen macht.
Unter diesen Umständen kann ich es nochmals ein wenig besser verstehen, dass du eben in diese Klinik nicht zur Abklärung gehen möchtest. Eine Zweitmeinung ist hier mehr als angebracht. Und diese im selben Krankenhaus einzuholen, das macht natürlich wenig Sinn.
Nun auch zur Epilepsie:
Ich glaube, wenn die behandelnden Ärzte keine epilepsietypischen Symptome aus den Patientenerzählungen herauszuhören glauben, schauen sie auch nicht so genau auf die EEG-Kurven. Und du hast vollkommen recht; erstens fehlt doch die Zeit an allen Ecken und Enden (das ist Grund für so viele viele Dinge, die verkehrt laufen; nicht zuletzt gerade bei dir, was mir wirklich sehr leid tut), und zweitens ist auch ein EEG wirklich sehr schwer zu beurteilen manchmal. Und sich wirklich Kurve für Kurve anschauen, das „tut doch keiner“. Da schaut man natürlich eher nach Ausreißern und deutlichen Abnormitäten, ist ja auch verständlich. Und außerdem stimmt es, wie du sagst: Es gibt meines Wissens nach epilepsietypische Kurven, aber sie sind eben „nur“ -typisch und nicht -spezifisch, kommen mit Sicherheit auch bei anderen Neuro-Erkrankungen vor. Die Neurologie ist ein so weites Feld, das an vielen Stellen leider nur sehr schlecht beleuchtet ist, um es mal so zu sagen. (Was sie aber andererseits auch wieder sehr sehr spannend macht, wie ich finde.)
Alles klar, entschuldige, dann habe ich eine falsche Erinnerung angelegt; der Arzt damals hat also keine Antikonvulsiva angeboten.
Natürlich bezieht man gerade bei der Epilepsie-Diagnose wie erwähnt die Patienten-Berichte sehr stark ein. Aber der Arzt hätte meines Erachtens nach viel genauer nachfragen müssen, wenn es denn schon auffällige Kurven gab. Denn wie sollst du als Patientin und Laie eigentlich wissen, was ein Anfall ist bzw. sein kann?
Gut, andererseits: Es heißt nicht, dass ein Neurologe sich auch gut im Bereich der Epilepsie auskennt. Die Neurologie ist so komplex und vielschichtig, dass man als Neurologe unmöglich alle Erkrankungen und deren Klinik bis ins Detail kennen kann. Trotzdem hätte ich mir ein wenig mehr Sorgfalt gewünscht in diesem Fall.
Du schreibst, du könntest dich in meinen "Anfalls-Beschreibungen" nicht wirklich wiederfinden. Ich möchte nur kurz anmerken: Manche Epilepsien äußern sich „nur“ durch die von dir beschriebenen kurzen Abwesenheiten, soweit ich weiß. Vielleicht würden dir auch andere Dinge auffallen, die du vorerst nicht mit einer Epilepsie in Verbindung bringen würdest. Nun möchte ich dir die Epilepsie natürlich nicht „aufdrücken“, das liegt mir mehr als fern. Aber ich fände es gut, wenn du es genauso machen würdest, wie du es angekündigt hast: Auf jeden Fall bei der nächsten neurologischen Untersuchung ansprechen.
Du fragst schließlich, ob man in einem MRT denn nicht auch Auffälligkeiten sehen könnte, die auf eine Epilepsie hinweisen könnten? Natürlich; viele Epilepsien werden durch Läsionen im Gehirn verursacht, durch Aneurysmen, durch Tumoren, usw. Andererseits aber gibt es sehr viele Epilepsie-Formen, bei denen keine Auffälligkeiten im Schädel-MRT zu sehen sind (meine eingeschlossen). Viele davon können meines Wissens nach bspw. auch stoffwechselbedingt sein, wo keine sichtbaren Hirnschädigungen vorliegen. Das heißt: Das MRT kann „sauber“ sein und es kann trotzdem eine Epilepsie vorliegen. Es kommt auch immer sehr stark auf die Auflösung bzw. die „Generation“ des MRT an (die neueren, hochauflösenden Geräte können, wie ich gelesen habe, feinste Strukturauffälligkeiten bei manchen vermeintlich hirnmorphologisch unauffälligen Epilepsietypen darstellen, was bei „älteren“ Tomographen natürlich unmöglich ist).
Liebe Sandy: Jetzt war das wieder ein sehr langer Beitrag von mir. Ich würde mich sehr freuen, wenn du von deinen Gedanken und besonders von den Ergebnissen deiner Überlegungen hier berichten könntest. Wie gesagt: Gerne hier im Faden, aber auch genauso gerne „hinter den Kulissen“.
Ich denke ganz viel an dich und hoffe, dass du bald einen Weg findest, von dem du das Gefühl hast, er sei gut zu begehen, oder vielleicht sogar der richtige.
Bis bald, und viele herzliche Grüße!
.Necktarine
P.S.: Hoffentlich habe ich nichts vergessen! Wenn doch, und du hättest noch etwas besprechen wollen: Bitte sag’s mir jederzeit, ich werd dann gerne was dazu schreiben, wenn es dir helfen sollte.